4 A’s – Spartathlon 2023

Die 4 A:

AKZEPTANZ, ANALYSE,
ABHAKEN, AUFSTEHEN

Es gibt keine linearen Geschichten, im Alltag nicht und auch nicht beim Laufen. Und es gibt
kaum jemanden, der im Lauf einer Karriere tatsächlich frei von Verletzungen bleibt. Doch nach jedem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Besonders dann, wenn man der Regel der „vier A“ folgt.

 

Meine Geschichte nahm eine extreme Talfahrt an jenem 1. Okto­ber 2023 in Ancient ­Nemea. Möglicherweise habe ich mich zu dieser Kurve das ganze Jahr schon hingearbeitet, aber wie auch immer: Spartathlon! Rennen des Jahres! Dritter Start, der auch mein letzter sein sollte – so hatte ich es mir schon vor dem Lauf vorgenommen. Dieses Mal sollte meine Performance perfekt sein, ich wollte das Rennen so laufen, wie ich es schon das Jahr zuvor laufen wollte. Die Vorzeichen stehen gut. Dieses Mal sind die letzten Monate vor dem Wettkampf optimal verlaufen. Die Vorbereitung war ausgezeichnet, ich stand auf dem Höhepunkt meines Leistungszustandes. Fühlte mich bereit, eine wirklich fabelhafte Zeit zu laufen. Warum auch nicht? Ich weiß, wozu ich fähig bin, kenne und liebe die Strecke, glaube an mich und meine Stärken, ich habe das beste Team bei mir und meine Tochter Julia begleitet mich dieses Mal auch. Ich fühle mich fokussiert und unbesiegbar – unbesiegbar mir selbst gegenüber. Klar, ich weiß immer noch, dass Ultralaufen eigentlich ein Spiel mit dem Feuer ist. Aber ich liebe und respektiere dieses Spiel. Ich bin topfit, und wenn dies der Fall ist, dann spielt sich der Lauf im Kopf ab. Und der Kopf ist schon immer mein Joker gewesen.

SAMSTAG FRÜH, 30. SEPTEMBER,

6 UHR ORTSZEIT, AKROPOLIS

Mit Tränen in den Augen laufe ich im Mittelfeld los, genauso wie das erste und zweite Mal. Die meisten Teilnehmer*innen beginnen diese Herausforderung mit Tränen in den Augen und die meisten beenden sie auch so – egal ob im Ziel oder nicht. Ich bin keine Ausnahme. 120 km lang laufe ich das Rennen meines Lebens, lauftechnisch, zeitmäßig ganz nach Plan, wie nach einem perfekt geschriebenen Drehbuch. Das Wetter ist optimal – viel von meiner Medivid-Kühlflüssigkeit und meinen Feda Trading-Kühltüchern bräuchte ich nicht, ein paar Stunden nur hat sich die Hitze bemerkbar gemacht. Die Jahre davor habe ich diese Hilfsmittel ständig benutzt, sie waren meine beste „Geheimwaffe“ in einer Hitzeschlacht. Die Konkurrentinnen liegen zwar alle vor mir, doch das bringt mich nicht aus dem Gleichgewicht. Ich laufe mein Tempo, die Pace liegt konstant bei 5:00 min/km. Und ich fühle mich von meinem Team und meiner Tochter bezaubert und bestens ­unterstützt. Laufen macht wieder Spaß, zum richtigen Zeitpunkt, nach langen intensiven Vorbereitungsmonaten, während denen ich die Leidenschaft für das Laufen nicht so richtig spürte. Das kennen wir alle. Und wir wissen auch alle, dass es wieder vergeht.

SAMSTAG NACHMITTAG, GEGEN 16 UHR, VOR ANCIENT NEMEA

120 wunderbare Kilometer also. Und dann kommt jener Schritt, der alles ändert. Plötzlich kann ich meinen linken Fuß nicht mehr auf den Boden stellen. Meine Augen werden groß, mein Kopf wird heiß, und dies nicht von der Hitze. Von jetzt auf sofort weiß ich, dass „etwas schiefgegangen ist“. Ich spüre stechende Schmerzen in meiner Fibula. Jeder Schritt wird zu einer Qual. Ich werde langsamer, das hilft aber nicht. Jemand überholt mich und schenkt mir ein paar Wortspenden der Motivation. Ich werde noch langsamer. Ich humple. Noch sind es rund 1.500 Meter bis zum nächsten Checkpoint, vor Nemea wartet ein Fotograf, er sieht mich weinen und ich sage ihm: „Es ist aus.“ Heulend und in Panik erreiche ich mein Team. Keiner ahnt, was da los ist. Ich hingegen fühle mich völlig verloren, da ich für diese Situation nicht bereit war. Dass es ein Wadenbeinbruch ist, wird erst zwei ­Wochen nach dem Spartathlon ­diagnostiziert.

SONNTAG NACHT GEGEN 1 UHR
IN NESTANI

Das Rennen habe ich erst in Nestani bei km 171, 50 Kilometer nach meinem Einbruch, beendet. Ich mache weiter, weil ich ein Sturkopf bin, weil ich den Therapeuten vor Ort vertraut habe, die mir sagen, dass meine Verletzung nicht schlimmer werden kann, weil ich ein letztes Mal den Sangas-Pass überqueren und die magische Nacht erleben will. Als ich den Sangas-Pass überquere, weiß ich, ich habe mein Ziel bei meinem dritten Spartathlon erreicht – ich habe das für mich ultimative Rennen erlebt und habe die beste Zeit meines Lauflebens gehabt.

  Wenn wir uns einer schwierigen Aufgabe mit viel Leidenschaft stellen, wenn wir uns auf den Prozess konzentrieren und in diesem aufgehen, dann wird auch das Ergebnis zufriedenstellend sein. Das mag jetzt provokant klingen, wenn ich anfüge: egal, ob man nun die Ziellinie erreicht oder nicht.

  Denn am Ende einer Unternehmung, eines Projekts, eines Laufs, steht immer noch die anfängliche Frage nach dem Was, nach dem Warum, nach dem Wieso. Was möchte ich? Warum mache ich das? Diese sind die Fragen aller Fragen. Jene nach dem Wie, Wann und Wo sind ­nachrangig. Ich komme zurück nach Hause, erfahre die Diagnose und es ist mir klar, dass nun die Arbeit mit den vier „A“ bevorsteht.

AKZEPTANZ

Der erste Schritt, mit einem Rückschlag umzugehen, ist, diesen zu akzeptieren. Mit Akzeptanz fängt alles an. Klarerweise fehlen auch jene analytischen Momente nicht, die wissen wollen, warum diese Verletzung geschehen ist, und die theoretisieren, was gewesen sein könnte, wenn … Doch diese Gedanken bringen in dieser Phase keinen Mehrwert auf dem Weg zurück.

  Ich habe das AUF in meiner Geschichte zu 120 Prozent genossen. Und das ist auch richtig und gut so. Aber vom AB zu lernen, ist schwierig. Akzeptanz und Annehmen der Umstände sind die Voraussetzungen für das Lernen aus Fehlern und Misserfolgen.

  Ich komme am 4. Oktober in Wien an und weiß nicht, dass fünf Tage später meine Laufwelt zusammenstürzen wird. Das MRT ist gnadenlos, Verhandeln aussichtslos: Ich habe eine Stressfraktur im linken Wadenbein davongetragen, dabei denke ich bis just in diesem Moment, dass es sich vielleicht um einen Sehnen- oder Muskelriss handelt.

            Ist die Aussicht, ein halbes Jahr lang nicht laufen zu dürfen, ein Weltuntergang? NEIN, sage ich mir – es ist eine neue Chance! ­Eine Chance, mich selbst besser kennenzulernen, eine Chance, meine Persönlichkeit zu entwickeln, eine Chance, mehr Zeit für mein Unternehmen zu haben, mehr Bücher zu lesen, vor allem auch eine Chance, mehr für meine Tochter da zu sein. Eine Chance also, die Welt um mich herum aus einer

anderen Perspektive zu sehen. Aber WIE? Meine Emotionen explodieren. Ich weiß, dass der erste Schritt meiner Heilung jener ist, das Geschehene zu akzeptieren, Zeit für Trauer zu haben und Raum für Emotionen zu schaffen. Jede Emotion in uns ist wichtig, hören wir ihr zu und nehmen wir sie wahr! Es ist völlig legitim, sich deprimiert zu fühlen und Zeit für die Verarbeitung zu brauchen. Doch wir sollten uns in diesen Gefühlen nicht verlieren: Emotionen ja, Selbstmitleid nein! Manchen hilft es, mit anderen über diese Themen zu reden, mir hilft es, in meinem Schlafzimmer zu schreien und auf die Polster zu schlagen. Ich erlaube mir, meine Wut zu befreien.

  Auch Akzeptanz muss geübt sein. Ich nehme mir dafür den ganzen Oktober. Mit vielen AUFs und ABs. Manchmal denke ich, dass ich es geschafft habe, doch die Emotionen beweisen mir immer wieder das Gegenteil. Und wieder übe ich mich in Akzeptanz, werde mir klar, dass mein Alltag eingeschränkt ist, dass ich nicht wie üblich 20.000 Schritte am Tag gehen oder laufen kann, sondern dass schon 5.000 mich an den Rand der Erschöpfung bringen. Mir ist wichtig, nicht nur das Geschehene zu akzeptieren, sondern auch dessen Folgen – dass das Leben „danach“ neu gestaltet gehört.

ANALYSE

Nachdem ich das ganze „Paket“ – also den Rückschlag und seine Folgen – akzeptiert habe, bin ich bereit für eine Analyse. Dabei arbeite ich lösungsorientiert. Ich stelle mir viele Fragen, die Antworten schreibe ich nieder. Dies funktioniert effizienter, denn das Unterbewusstsein verarbeitet die Informationen auf diese Weise besser: Es wird ­einem bewusst, was kann man für sich selbst beitragen kann, um die nächsten Schritte erfolgreich(er) zu bestreiten. Ein grobes Bild zu einem Rückschlag zu erschaffen kann ich, wenn ich mir selbst ehrlich die Frage stelle: Warum habe ich, oder mein Körper, bei dieser und jener sportlichen, beruflichen, privaten Situation versagt? Ehrlichkeit ist das Um und Auf, nur über sie können wir aus Niederlagen lernen. Also lauten meine Fragen beispielsweise: Was genau fehlte? Was ist schiefgelaufen? In welchen Bereichen ist mein Wissen um Technik, Taktik, Training fehlerhaft oder unvollständig? Wie lassen sich diese Fehler vermeiden? Was konkret lässt sich verändern? Ich beschäftige mich nicht mit äußeren Einflüssen, denn Umgebung, Konkurrenz, Gegner, Wetter kann ich nicht ändern.

  Bei Schlussfolgerungen hilft kein „Ich muss“ oder „Die anderen müssen“. Die Analyse ist eine sehr persönliche, eigene Geschichte, die Veränderung ebenfalls, und sie beginnt bei jedem Einzelnen selbst. Schlussfolgerungen müssen mit keinem anderen Menschen geteilt werden, und viele Antworten, die ich gefunden habe, möchte ich auch für mich allein behalten.

  Eines ist mir in der Zwischenzeit klar geworden: Um diesen Rückschlag nicht zu wiederholen, muss ich ein paar „Baustellen“ in meinem Leben weg­arbeiten, und nur wenn ich diese im Griff habe, kann ich von meinem Rückschlag etwas ­lernen.

  So pathetisch es klingt: Die Faktoren deiner Misserfolge sind die Bausteine deiner Erfolge. Überlege dir, ob du sie wirklich ehrlich erkannt hast! Vergiss nicht, dass es bei der Analyse eines Misserfolgs nicht nur darum geht, Defizite zu finden. In meiner Arbeit mit mir selbst habe ich mich sehr viel auf meine Stärken konzentriert, denn diese sind ein wichtiger Bestandteil für das, was nach einem Rückschlag folgen wird oder kann. Also: Was lief gut bei dem Rennen? Welche Stärken kamen zum Tragen? Wie kann ich diese Stärken bei den nächsten Trainings oder Wettkämpfen nutzen?

  Im November und Dezember habe ich mir Zeit zur Analyse und zur Selbstreflexion genommen. Es ist eine wunderbare Art der Selbsthilfe, ganz egal, in welchem Lebensbereich wir stehen. In dieser meiner Selbstreflexion wird mir einmal mehr bewusst, dass das Laufen nicht der einzige Lebensinhalt, nicht mein ganzes Leben ist. (Doch als der plötzliche Entzug eintrat, wusste ich einige Wochen nicht mehr weiter.) Mithilfe von Analyse und Selbstreflexion treffe ich die für mich richtigen Entscheidungen, auch wenn mir bewusst ist, dass jede Veränderung wellig ist und sich unbequem anfühlt.

  Zuweilen bin ich unsicher, ob die Entscheidung, das Wettkampfjahr 2024 sausen zu lassen, doch richtig für mich ist. Die Unsicherheit tritt auch auf, wenn ich zulasse, dass Stimmen und Meinungen anderer mich über die Maßen beeinflussen. Dann halte ich daran fest, dass mich zwar die Änderung meiner Gewohnheiten, die mich aus meinem Trott geworfen hat, auch dazu führt, dass ich neuen Gewohnheiten Gelegenheit zur Entfaltung gegeben habe: ­Bücher zu lesen, zu meditieren, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, neue Bekanntschaften und Freundschaften zu finden, mich um noch mehr Trainees zu kümmern, um mein Wissen weiterzugeben.

ABHAKEN

Ich kann nicht mehr ändern, was beim Spart­athlon passiert ist, ich kann diese Stressfraktur nicht ungeschehen machen: Akzeptanz! Und dann Analyse, um sich zu verbessern, um besser zu sein als in der Vergangenheit. Wenn die Gründe für den Verlust, für den Misserfolg klar sind, dann bin ich bereit für den nächsten Schritt: Abhaken! Ohne Selbstmitleid, ohne Jammer. Erfolg ist nicht gleich Glück, und ein Rückschlag nicht gleich Unglück. Erfolg kann viel Druck mit sich bringen, Erfolg kann aufgrund erhöhter Erwartungshaltungen und Verpflichtungen Spaß wegnehmen. Ein Rückschlag dagegen bietet eine neue Chance.

  Ich habe meine Chance zum Wachsen ganz klar vor meinen Augen gesehen, als ich meine Spartathlon-Reise abgehakt habe, aufgestanden bin und bereit war, weiterzugehen. Klar, die plötzlichen Veränderungen in meinem Leben haben mich ängstlich gemacht. Aber mit Kontrolle über meine Handlungen und meine Denkweise habe ich für mich ­einen neuen Raum geschaffen, einen Raum, in dem ich noch immer Platz zum Laufen habe, doch die Prioritäten liegen jetzt woanders.

  Lasst mich nochmals provokant sein. Meine Leistung beim Spartathlon Nummer drei ist eigentlich der größte Erfolg meiner Laufkarriere. Denn was ist am Ende des Tages wertvoller? Zweimal den Spartathlon zu gewinnen oder 50 km mit einem gebrochenen Bein laufen zu können? Wovon kann ich mehr mitnehmen? Denn wenn ich Ausblick mit Rückblick verbinde …

  … schaffe ich für mich neue Klarheit. Persönliches Wachstum nimmt eine neue Dimension ein, es kann Angst machen, nicht zu wissen, „wie es weitergeht“, aber ich vergesse nicht, dass Erfolg viel Arbeit, Hingabe und Ausdauer verlangt. Und Misserfolg gehört zu diesem „Blumenstrauß der Leidenschaft“ dazu.

AUFSTEHEN

Ich bin neugierig auf das Neue, auf das, was auf mich zukommt. Ich kann es nicht erwarten, die Leidenschaft für meine Handlungen zu spüren, sei es das Laufen, sei es meine Arbeit mit anderen Sportlern, sei es einfach gesund die Welt genießen zu dürfen! Oder sei es der Gedanke, in fünf oder zehn Jahren wieder von Athen nach Sparta zu laufen.

            Schon im Dezember konnte ich wieder knapp 100 km beim Laufen sammeln. Im Jänner 172 km und im Februar gut über 220 km. Wie geht es so schnell, einen Ermüdungsbruch zu heilen? Ganz einfach – mit dem richtigen Therapeuten, mit richtigem Mindset, viel Mediationen, sowie Tools wie zum Beispiel Gefäßtherapie nach BEMER, die den Körper bei Regenerationsprozessen durch die Stimulation der Mikrozirkulation unterstützt.